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Die Wissenschaft hinter Cannabis und Homöostase
Vielleicht merkst Du es nicht, aber Dein Körper arbeitet ständig daran, Dein System im Gleichgewicht zu halten. Jedes Mal, wenn Dir Reize wie Jogging oder eine Erkältung begegnen, aktiviert Dein Körper homöostatische Mechanismen, um Dich lebendig und funktionsfähig zu halten. Forscher untersuchen, ob Cannabis Störungen der Homöostase beheben kann.
Inhaltsverzeichnis:
Wenn Du nicht gerade ein Wissenschaftler oder begeisterter Gesundheitsfanatiker bist, hast Du das Wort "Homöostase" wahrscheinlich seit dem Biologieunterricht nicht mehr gehört. Dieser körpereigene Mechanismus versucht, den Körper im Gleichgewicht zu halten. Jedes Mal, wenn ein Reiz wie Hitze oder körperliche Anstrengung unseren Körper herausfordert, sorgen homöostatische Mechanismen dafür, dass die Sache nicht aus dem Ruder läuft. Im Folgenden erfährst Du alles über Homöostase und ob Cannabis diesen lebenswichtigen Prozess beeinflussen kann.
Was ist Homöostase?
Die Mechanismen im menschlichen Körper arbeiten unermüdlich daran, unsere Physiologie im Gleichgewicht zu halten. Unser Körper funktioniert optimal, wenn bestimmte Variablen innerhalb bestimmter "Goldlöckchen"-Bereiche gehalten werden. Beispiele dafür sind:
- Blut-pH-Wert zwischen 7,35 und 7,45
- Blutdruck zwischen 90/60 und 120/80mmHg
- Körpertemperatur von etwa 37°C
In der Wissenschaft wird dieser biologische Balanceakt als Homöostase bezeichnet. Die Encyclopaedia Britannica definiert[1] sie als "jeden selbstregulierenden Prozess, durch den biologische Systeme dazu neigen, Stabilität zu bewahren, während sie sich an Bedingungen anpassen, die für das Überleben optimal sind". Im Ruhezustand, wenn wir nicht durch Krankheiten und Infektionen beeinträchtigt werden, kann unser Körper Prozesse wie die Blutzuckerregulierung, den Kalium- und Kalziumhaushalt, die Aktivität des Immunsystems und die Hydration problemlos aufrechterhalten. Schwieriger wird es jedoch, wenn wir bestimmten Reizen wie Infektionen, körperlicher Anstrengung, Hunger und hohen Temperaturen ausgesetzt sind.
Wie die Homöostase funktioniert
Wie funktioniert die Homöostase? Sie erfordert ein fein abgestimmtes Vorgehen. Unser Körper beherbergt Billionen von Zellen, die unzählige Gewebe, Organe und Drüsen bilden (ganz zu schweigen von den Billionen von Bakterien, die sich in Deinem Körper ansiedeln).
Damit all diese Systeme und Zellen harmonisch funktionieren – und zwar gut genug, um uns am Leben zu erhalten – ist Kommunikation erforderlich. Verschiedene Systeme im Körper arbeiten zusammen, um die homöostatischen Grenzen durch Hormonausschüttungen und elektrische Signale aufrechtzuerhalten. Unser endokrines System, das aus verschiedenen Drüsen und Organen besteht, setzt einen Cocktail von Hormonen frei, die eine wichtige Rolle dabei spielen, den Körper im Gleichgewicht zu halten. Unser zentrales und peripheres Nervensystem senden ebenfalls blitzschnelle Signale durch den Körper, die die Überwachung, Reaktion und Regulierung unterstützen. Zusammen bilden das Hormon- und das Nervensystem Rückkopplungsschleifen, die die Homöostase unterstützen.
Rückkopplungsschleifen
Rückkopplungsschleifen sind Mechanismen, die der Körper zur Aufrechterhaltung der Homöostase einsetzt. Es gibt zwei verschiedene Arten: positive und negative Rückkopplungsschleifen. Bei negativen Rückkopplungsschleifen gibt es vier Hauptstufen in Form von Reiz, Sensor, Kontrolle und Effektor. Am Beispiel der Regulierung der Körpertemperatur sehen diese Stufen wie folgt aus:
- Stimulus: Fieber lässt die Körpertemperatur über 37°C ansteigen.
- Sensor: Nervenzellen in der Haut und im Gehirn nehmen einen Anstieg der Körpertemperatur wahr.
- Steuerung: Der Hypothalamus arbeitet wie ein biologischer Thermostat, um die Körpertemperatur zu regulieren.
- Effektor: Der Hypothalamus löst Hormonkaskaden aus, die zu einer Erweiterung der Blutgefäße und vermehrtem Schwitzen führen. Wenn der Körper wieder an Wärme verliert, kehrt er allmählich in den homöostatischen Sweetspot zurück, und dieser Mechanismus wird beendet.
Während negative Rückkopplungsschleifen dem ursprünglichen Reiz entgegenwirken, verstärken positive Rückkopplungsschleifen den ursprünglichen Reiz. Diese Mechanismen funktionieren, indem sie einen Prozess bis zum Ende durchlaufen, anstatt die Dinge wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Beispiele für positive Rückkopplungsschleifen sind die kontinuierliche Freisetzung von Oxytocin während der Wehen bei der Geburt und das Füttern von Neugeborenen, das die weitere Milchproduktion anregt.
Homöostase und Krankheiten
Im Laufe des menschlichen Fortschritts hat die Wissenschaft einige Krankheiten besiegt, die unsere Vorfahren geplagt haben. Die Annehmlichkeiten der Moderne, wie die sitzende Lebensweise, hohe Kalorienzufuhr und der Zugang zu entzündlichen Lebensmitteln, haben jedoch zu einer Reihe von Krankheiten geführt, die bei unseren Vorfahren relativ selten waren. Dazu gehören:
- Typ-2-Diabetes
- Bestimmte Formen von Krebs
- Fettleibigkeit
- Atherosklerose
- Autoimmunität (das Immunsystem greift den Körper an)
- Bestimmte psychiatrische Störungen
Laut den Immunbiologie-Forschern Maya Kotas und Ruslan Medzhitov haben diese Erkrankungen zwei Schlüsselfaktoren[2] gemeinsam: Sie sind auf eine Fehlfunktion der homöostatischen Mechanismen zurückzuführen und gehen mit chronischen Entzündungen einher. Entzündungen dienen zwar der Abwehr von Verletzungen und Infektionen, verursachen aber unzählige physiologische Probleme, wenn sie außer Kontrolle geraten. Umweltvariablen, einschließlich der Ernährung, können physiologische Prozesse aus ihrem homöostatischen Bereich drängen. Wie zum Beispiel der übermäßige Konsum von Zucker und die daraus resultierende Störung des Glukosestoffwechsels.
Cannabis und Homöostase
In laufenden Studien werden Cannabis und seine Inhaltsstoffe im Zusammenhang mit einer Vielzahl von Krankheitsmodellen untersucht. Forscher interessieren sich besonders für eine Gruppe von aus Cannabis gewonnen Stoffwechselprodukten, die Cannabinoide genannt werden. Diese Moleküle sind in der Lage, das Endocannabinoid-System (ECS) zu beeinflussen – das universelle Regulierungssystem des menschlichen Körpers. Diesen prestigeträchtigen Titel hat sich das ECS aufgrund seiner Fähigkeit verdient, die Homöostase in unzähligen physiologischen Systemen zu steuern; es unterstützt den Knochenumbau, steuert das Feuern von Neurotransmittern, unterstützt Funktionen der Haut und reguliert sogar unsere Stimmung.
Dieses lebenswichtige System besteht aus drei wichtigen Teilen: aus Signalmolekülen, die als Endocannabinoide bekannt sind, Rezeptoren, an die diese Moleküle binden, und Enzymen, die diese Moleküle herstellen und abbauen.
Interessanterweise haben aus Cannabis gewonnenen Cannabinoide eine ähnliche Molekularstruktur wie im Körper hergestellte Moleküle. Das bedeutet, dass auch sie an die ECS-Rezeptoren binden können und somit in der Lage sind, unser universelles Regulierungssystem zu beeinflussen. Die Inhaltsstoffe von Cannabis können dieses übergeordnete Regulationsnetzwerk quasi "hacken". In welchem Ausmaß diese Moleküle unsere Physiologie beeinflussen, ist jedoch weiterhin Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen.
THC und Homöostase
Von THC hast Du bestimmt schon mal gehört. In rohen Blüten liegt dieses Cannabinoid in Form der nicht psychoaktiven Cannabinoidsäure THCA vor. Durch Hitzeeinwirkung wird das Molekül zu THC – einer Verbindung, die an bestimmte ECS-Rezeptoren im Gehirn binden kann und so den typischen Cannabis-Rausch auslöst.
Da THC an die beiden Hauptrezeptoren des ECS bindet, wollen Forscher herausfinden, ob es die Homöostase in verschiedenen Systemen beeinflussen kann. Forscher aus Portugal untersuchen die Auswirkungen von THC[3] auf die Endocannabinoid-regulierte Homöostase in der menschlichen Plazenta, und weiterhin erforschen Wissenschaftler auch die Rolle von THC bei der Apoptose. Dieser Begriff beschreibt einen streng regulierten Prozess, der die kontrollierte Zerstörung von Zellen anweist. Im Grunde hilft die Apoptose dabei, die Zellpopulationen auf einem gesunden Niveau zu halten. Bei Krankheiten wie Krebs versagt der Mechanismus der Apoptose, wodurch sich Zellen unkontrolliert vermehren. Eine Reihe von Studien[4] untersuchen THC bei verschiedenen Krebsarten, um herauszufinden, ob es die Apoptose auslösen und die zelluläre Homöostase positiv beeinflussen kann.
CBD und Homöostase
Und was ist mit CBD? Ist dieses Cannabinoid vielversprechend, wenn es um die Beeinflussung des ECS und der Homöostase im Körper geht? Genau wie bei THC stehen die wissenschaftlichen Untersuchungen zu CBD noch ganz am Anfang und sind nicht eindeutig. Es gibt jedoch zahlreiche Studien, die untersuchen, wie CBD Elemente des ECS beeinflusst. Forscher aus Deutschland wollen zum Beispiel herausfinden, ob CBD die Wirkung des Enzyms Fettsäureamidhydrolase (FAAH) blockiert[5], ein für den Abbau des Endocannabinoids Anandamid verantwortliches Protein – ein wichtiger Faktor für die Homöostase. CBD interagiert auch mit Peroxisom-Proliferator-aktivierten Rezeptoren (PPARs), einer Gruppe von Kernrezeptoren, die an der Lipid- und Glukosehomöostase beteiligt sind.
Defizite im Endocannabinoid-System
Das ECS spielt eine so wichtige Rolle für die körpereigene Homöostase, so dass die Dinge schnell aus dem Ruder laufen, wenn das System nicht richtig funktioniert. Die Theorie des klinischen Endocannabinoid-Mangels[6] (CECD) besagt, dass schädliche Abweichungen in der Funktion des ECS zu Krankheiten führen können. Der Neurologe und Cannabis-Experte Dr. Ethan Russo spricht vom Faktor des Endocannabinoid-Tonus – die ideale Menge an zirkulierenden Endocannabinoiden im Körper eines Menschen –, der für eine optimale Homöostase sorgt. Diese wichtigen Signalmoleküle werden bei Bedarf aus Nahrungsbestandteilen gebildet. Umweltfaktoren wie eine mangelhafte Ernährung sowie genetische Faktoren können den Endocannabinoid-Tonus jedoch unter die Funktionsschwelle senken. Russo ist der Meinung, dass ein gestörter Endocannabinoid-Tonus zu verschiedenen Krankheiten führen kann, darunter:
- Reizdarmsyndrom
- Fibromyalgie
- Migräne
Wenn sich diese Theorie bewahrheitet, könnten Maßnahmen zur Beeinflussung des Endocannabinoid-Spiegels die Linderung der Symptome unterstützen. Zu den Methoden, die bekanntermaßen den Endocannabinoid-Spiegel erhöhen können gehören:
- Aus Pflanzen gewonnene Cannabinoide
- Omega-Fettsäuren in der Nahrung
- Aerobes Training (Laufen, Schwimmen, Radfahren)
- Massage und Akupunktur
Warum die Homöostase wichtig ist
Die der Homöostase zugrunde liegenden Mechanismen halten uns am Leben. Ohne sie würden schon eine Runde Jogging oder eine Erkältung unser Niedergang sein. Funktionierende homöostatische Regulationssysteme sind der Schlüssel zur Gesundheit eines Organismus. Angesichts der Rolle, die das ECS bei diesem lebenswichtigen Mechanismus spielt, stehen Cannabis und seine Inhaltsstoffe im Mittelpunkt der Forschung zur Aufrechterhaltung einer optimalen Homöostase. Obwohl die Forschung noch am Anfang steht, ist die Wissenschaft bestrebt, diesen komplexen, aber unbestreitbar lebenswichtigen Aspekt der menschlichen Biologie zu entschlüsseln.
- homeostasis | Definition, Function, Examples, & Facts | Britannica https://www.britannica.com
- Homeostasis, Inflammation, and Disease Susceptibility - PMC https://www.ncbi.nlm.nih.gov
- Effects of cannabis tetrahydrocannabinol on endocannabinoid homeostasis in human placenta | SpringerLink https://link.springer.com
- Anticancer mechanisms of cannabinoids - PMC https://www.ncbi.nlm.nih.gov
- Cannabidiol enhances anandamide signaling and alleviates psychotic symptoms of schizophrenia - PMC https://www.ncbi.nlm.nih.gov
- Clinical Endocannabinoid Deficiency Reconsidered: Current Research Supports the Theory in Migraine, Fibromyalgia, Irritable Bowel, and Other Treatment-Resistant Syndromes - PMC https://www.ncbi.nlm.nih.gov