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2-AG und das Endocannabinoid-System
Als häufigstes Endocannabinoid unseres Gehirns wirkt 2-AG zwischen Neuronen, um die Freisetzung von Neurotransmittern zu kontrollieren. Das Signalmolekül hilft außerdem, das Gleichgewicht an anderer Stelle aufrecht zu erhalten. Es kontrolliert das Immunsystem, regt den Appetit an, wenn der Körper Nahrung benötigt, und beeinflusst sexuelle Erregung.
Inhaltsverzeichnis:
2-Arachidonoylglycerol alias 2-AG spielt im Endocannabinoid-System (ECS) eine zentrale Rolle. Das Signalmolekül hilft bei der Regulierung einer Vielzahl physiologischer Prozesse einschließlich Energiegleichgewicht, Entzündungen und sogar Emotionen sowie Kognition,[1] indem es die beiden Hauptrezezeptortypen des ECS aktiviert: CB1 und CB2.
Wahrscheinlich hast Du mittlerweile schon einmal etwas über das ECS gehört; vielleicht kennst Du sogar Endocannabinoide wie Anandamid (das "Glücksmolekül"). Jetzt hast Du die Gelegenheit, Dein Wissen über dieses System zu vertiefen und alles herauszufinden, was Du über 2-AG wissen musst, z. B. was es im Körper bewirkt und in welchem Zusammenhang es mit Cannabis steht.
Wer entdeckte 2-AG?
Falls Du Dich mit der Geschichte von Cannabis beschäftigst, bist Du wahrscheinlich schon einmal über den Namen Dr. Raphael Mechoulam gestolpert. Dem angesehenen Cannabisforscher, der auch im Alter von 91 Jahren noch aktiv arbeitet, gelangen während seiner Karriere an der Hebräischen Universität in Israel mehrere Durchbrüche. Neben der Entdeckung von THC trug Mechoulam dazu bei, verschiedene Komponenten des ECS zu identifizieren. Er leitete die Forschungsteams, die als erste Anandamid und 2-AG isolierten und ihre Funktion als Signalmoleküle innerhalb des ECS nachweisen konnten.[2] Diese Liganden (Moleküle, die an spezifische Rezeptoren binden) wurden als Endocannabinoide bekannt – "endo“ bedeutet "innerhalb, (von) innen“.
Im Fall von 2-AG machte sich Mechoulams Team auf die Suche nach Liganden, die in tierischen Geweben vorkommen. 1995 stießen sie auf 2-AG und veröffentlichten ihre Ergebnisse in der Zeitschrift Biochemical Pharmacology.[3] Nachdem sie die Struktur der neuen Verbindung bestimmt hatten, bestätigten sie deren Bindungsaffinität mit ECS-Rezeptoren.
Was ist 2-AG?
2-AG bindet an ECS-Rezeptoren, um die notwendigen Veränderungen in den Zielzellen zu bewirken. Aus chemischer Sicht ist es ein Ester, der aus Omega-6-Arachidonsäure und Glycerin gebildet wird, das wiederum aus Arachidonsäure (AA) stammt.[4] Endocannabinoide wie 2-AG sind Lipide (Fette), die als chemische Botenstoffe innerhalb des ECS fungieren. Da der Körper 2-AG aus mehrfach ungesättigten Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren (PUFAs) produziert,[5] verändern Ernährungsgewohnheiten den Endocannabinoidspiegel und wahrscheinlich auch den "Ton“ des ECS.[6]
2-AG gilt als das am häufigsten vorkommende Endocannabinoid im Gehirn und wird als einziger vollständiger Agonist der primären ECS-Rezeptoren betrachtet. Das bedeutet, dass Endocannabinoide bei der Bindung an CB1 oder CB2 den Rezeptor vollständig aktivieren. Im Gegensatz dazu wirkt Anandamid nur als partieller Agonist beider Rezeptoren mit begrenzter Wirksamkeit.
Welche Funktion hat 2-AG?
Als Endocannabinoid ermöglicht 2-AG die Übertragung von Signalen im gesamten ECS. Die primären ECS-Rezeptoren sind von der Haut und den Knochen bis hin zum zentralen Nervensystem und dem Immunsystem über den gesamten Körper verteilt. Da der Körper 2-AG für die Regulierung dieser Rezeptoren benötigt, tritt das Endocannabinoid an denselben Stellen auf. Im Folgenden erfährst Du mehr über die Funktionen von 2-AG in wichtigen Systemen und Prozessen des Körpers.
Zentrales Nervensystem
Im zentralen Nervensystem und Gehirn reguliert 2-AG die Freisetzung von Neurotransmittern – eine ziemlich große Verantwortung, wenn man bedenkt, dass diese Chemikalien unser Verhalten, unsere Gefühle und unsere Wahrnehmung der Realität bestimmen! Wie kann diese kleine Chemikalie also derartige Großtaten leisten? Zunächst müssen wir uns ein wenig intensiver mit der Funktionsweise von Neuronen beschäftigen.
Über chemische Impulse, die die Freisetzung von Neurotransmittern (Gehirnchemikalien) anregen, senden sich Neuronen gegenseitig Signale. Erreicht ein Impuls das Ende eines präsynaptischen Neurons, löst er die Freisetzung eines chemischen Stoffes aus, der den synaptischen Spalt (die Lücke zwischen zwei Neuronen) durchquert und an einen Rezeptor auf der Oberfläche des postsynaptischen Neurons bindet.
Die meisten Neurotransmitter bewegen sich auf die oben erwähnte „anterograde“ Weise. 2-AG ist dabei allerdings eine Ausnahme. Das Endocannabinoid bewegt sich retrograd, d. h. es reist gegen den Strom durch den synaptischen Spalt zurück.[7] Warum? Weil postsynaptische Zellen dadurch den eingehenden Verkehr kontrollieren können. Durch die Bindung an ECS-Rezeptoren auf präsynaptischen Neuronen gelingt es 2-AG, eingehende GABA- und Glutamatsignale zu regulieren, was dazu beiträgt, den Erregungszustand des Gehirns zu steuern.
Immunsystem
Das ECS trägt auch dazu bei, das Immunsystem ins Gleichgewicht zu bringen. Immunzellen besitzen sowohl CB1- als auch CB2-Rezeptoren und produzieren Endocannabinoide wie zum Beispiel 2-AG, die diese modulieren.[8] Zu diesen Zelltypen gehören:
B-Zellen | Produzieren Antikörper zur Bekämpfung von bakteriellen und viralen Infektionen |
Natürliche Killerzellen | Weiße Blutkörperchen, die Teil des angeborenen Immunsystems sind und virusinfizierte Zellen erkennen |
Monozyten | Helfen bei der Abwehr von Krankheitserregern und unterstützen sowohl entzündliche als auch entzündungshemmende Prozesse |
B-Zellen | Produzieren Antikörper zur Bekämpfung von bakteriellen und viralen Infektionen |
Natürliche Killerzellen | Weiße Blutkörperchen, die Teil des angeborenen Immunsystems sind und virusinfizierte Zellen erkennen |
Monozyten | Helfen bei der Abwehr von Krankheitserregern und unterstützen sowohl entzündliche als auch entzündungshemmende Prozesse |
Neben seinem Beitrag, die Freisetzung von Neurotransmittern im Gehirn bei Bedarf zu drosseln, hilft 2-AG auch bei der Regulierung des Immunsystems, indem es verhindert, dass Reaktionen aus dem Ruder laufen. Immunzellen schütten Entzündungsstoffe aus, die dazu beitragen, die Abwehrkräfte des Körpers zu stärken. Ein übermäßig aggressives Immunsystem kann jedoch dazu führen, dass sich der Körper gegen sich selbst wendet, was sich als akute oder chronische Autoimmunreaktionen bemerkbar macht.
Endocannabinoide wie 2-AG agieren als potente Immunmodulatoren; bei Bedarf hemmen sie die Bildung von Antikörpern, erleichtern die Selbstzerstörung unerwünschter Immunzellen und reduzieren Entzündungsmoleküle, die ansonsten Probleme verursachen würden.
Appetitsteigerung
Wer schon einmal Cannabis geraucht hat, kennt die damit verbundenen Heißhungerattacken. Nach ein paar Joints und tiefgründigen Gesprächen dauert es in der Regel nicht lange, bis der Heißhunger einsetzt. Das ECS reguliert nämlich auch den Appetit.
2-AG aktiviert CB1-Rezeptoren in Bereichen des Gehirns, die für die Homöostase der Nahrungsaufnahme verantwortlich sind.[9] Wann immer Du morgens aufwachst oder tagsüber eine Mahlzeit weglässt, beginnt dieses Endocannabinoid Dir zu signalisieren, dass es an der Zeit für die Nahrungsaufnahme ist. THC zielt ebenfalls auf CB1-Rezeptoren ab, weshalb man nach jedem Kopf das Bedürfnis hat, den Kühlschrank zu plündern.
Sexualfunktion
Zu den weitreichenden Funktionen des ECS gehört auch die Regulierung der sexuellen Erregung. Erste Forschungsergebnisse in diesem Bereich deuten darauf hin, dass normal zirkulierende Konzentrationen von 2-AG und Anandamid das sexuelle Verlangen dämpfen können.
Eine im Journal of Sexual Medicine veröffentlichte Studie ergab, dass die Konzentration von Endocannabinoiden signifikant abnimmt, wenn Gefühle sexueller Erregung auftreten.[10] Diese Ergebnisse legen nahe, dass Endocannabinoide mit Gefühlen sexueller Erregung verbunden sind, denn eine Kaskade, die aus diesen Gefühlen resultiert, unterdrückt sie vorübergehend.
Wo kommt 2-AG vor?
2-AG kommt überall im Körper vor, wo es zur Aufrechterhaltung der Homöostase in unzähligen physiologischen Systemen beiträgt. Das Endocannabinoid wird von Zellen je nach Bedarf produziert. Das Stoffwechselenzym Diacylglycerin (DAG) synthetisiert hauptsächlich 2-AG, wohingegen es das Enzym Monoacylglycerin (MAG) schnell abbaut.[11]
Wie hängt 2-AG mit Anandamid zusammen?
2-AG und Anandamid sind verwandt, da sie beide Endocannabinoide sind. Beide agieren als Signalmoleküle innerhalb des ECS und tragen daher dazu bei, viele Körperprozesse im Gleichgewicht zu halten. Während 2-AG sowohl CB1 als auch CB2 vollständig aktiviert, werden diese von Anandamid nur teilweise aktiviert. Anandamid aktiviert jedoch auch TRPV1 vollständig. Dabei handelt es sich um einen CB3-Rezeptor, der an der Schmerzsignalisierung beteiligt ist.
Wie hängt 2-AG mit Cannabis zusammen?
Du wirst 2-AG nicht in Deiner Lieblings-Cannabissorte finden. Als endogenes Cannabinoid kommt es nur in den Geweben von Lebewesen vor, die über ein ECS verfügen. Allerdings haben aus Cannabis gewonnene Moleküle eine sehr ähnliche Wirkung im Körper wie 2-AG. Cannabinoide wie THC und CBD gehören zu einer chemischen Familie, die nach ihrer Wirkung auf ECS-Rezeptoren benannt ist. Ähnlich wie 2-AG bindet THC sowohl an CB1 als auch an CB2.
Warum haben Cannabinoid-Rezeptoren mehr als einen endogenen Liganden?
Sowohl 2-AG als auch Anandamid binden an die beiden primären ECS-Rezeptoren. Aber warum braucht der Körper diese beiden Moleküle? Obwohl beide Moleküle an dieselbe Rezeptorstelle binden, haben sie aufgrund ihrer unterschiedlichen Bindungsaffinität eine unterschiedliche Wirkung.
Das ECS: Ein sich rasch entwickelndes Forschungsgebiet
Herzlichen Glückwunsch, Du weißt jetzt viel mehr über eine weitere wichtige Komponente des ECS! Trotzdem hat dieser Artikel kaum an der Oberfläche gekratzt. Aktuelle Studien entdecken ständig neue Komponenten dieses Netzwerks und ihre einzigartigen Rollen im Körper. Vieles von dem, was wir derzeit über 2-AG wissen, wird sich im Laufe der Zeit erweitern. Der Schlüssel, um immer auf dem Laufenden zu bleiben, ist deshalb: immer weiter lernen!
- 2-Arachidonoylglycerol: A signaling lipid with manifold actions in the brain - PubMed https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- The 90th Birthday of Professor Raphael Mechoulam, a Top Cannabinoid Scientist and Pioneer - PubMed https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Identification of an endogenous 2-monoglyceride, present in canine gut, that binds to cannabinoid receptors - PubMed https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- 2-Arachidonoylglycerol | C23H38O4 - PubChem https://pubchem.ncbi.nlm.nih.gov
- Emerging class of omega-3 fatty acid endocannabinoids & their derivatives - PubMed https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Care and feeding of the endocannabinoid system: a systematic review of potential clinical interventions that upregulate the endocannabinoid system - PubMed https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Endocannabinoid-mediated retrograde modulation of synaptic transmission - PubMed https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Endocannabinoids and immune regulation - PubMed https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Endocannabinoids: an appetite for fat - PubMed https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Circulating endocannabinoid concentrations and sexual arousal in women - PubMed https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
- Biosynthesis and degradation of the endocannabinoid 2-arachidonoylglycerol - PubMed https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov